Pflegende Angehörige haben mehr Unterstützung verdient

Capital vom 13.09.2024

Kolumne

Claudia Müller Pflegende Angehörige haben mehr Unterstützung verdient

Finanz-Expertin Claudia Müller

Die Pflege von Angehörigen ist mit einem hohen Zeitaufwand und finanziellen Belastungen verbunden. Wer solche Aufgaben leistet eine wertvollen Beitrag für die Gesellschaft, der entsprechend honoriert werden sollte

Die Pflege von Menschen stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Die steigende Lebenserwartung führt dazu, dass der Bedarf an professioneller Pflege und Pflegekräften kontinuierlich wächst. Diese Entwicklung bringt jedoch auch erhebliche finanzielle Belastungen mit sich, die viele Familien überfordern können. Pflege ist dabei nicht nur ein Thema für ältere Menschen; auch Eltern sehen sich oft der Aufgabe gegenüber, ihre Kinder mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen oder besonderen Bedürfnissen zu unterstützen. Diese Situationen sind emotional belastend und können zu erheblichen finanziellen Herausforderungen führen.

Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn eine Person im Alltag nicht mehr ohne fremde Hilfe zurechtkommt. In solchen Fällen kann ein Pflegegrad beantragt werden, der durch ein Pflegegutachten ermittelt wird. Die Pflegeversicherung entscheidet anschließend, ob und welcher Pflegegrad zugewiesen wird. Der Pflegegrad ist entscheidend für die Unterstützung von Pflegebedürftigen und deren Familien, da er mit verschiedenen Leistungen wie Pflegegeld, Verhinderungspflege und Entlastungsleistungen verknüpft ist.

Es gibt drei Hauptarten der Pflege: ambulante, teilstationäre und stationäre Pflege. Ambulante Pflege, bei der Pflegekräfte zu den Pflegebedürftigen nach Hause kommen oder Angehörige die Pflege übernehmen, ist häufig die bevorzugte Option, da sie den Betroffenen ermöglicht, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. Allerdings können die Kosten für die ambulante Pflege schnell ansteigen, insbesondere bei intensivem Pflegebedarf.

Wer trägt die Pflegekosten?

Die Finanzierung der Pflege gestaltet sich komplex und setzt sich aus Eigenleistungen, Unterstützung durch die Pflegeversicherung und gegebenenfalls Sozialhilfe zusammen. Die gesetzliche Pflegeversicherung in Deutschland deckt nur einen Teil der Kosten ab. Je nach Pflegegrad erhalten Betroffene Leistungen, die oft nicht ausreichen, um die tatsächlichen Kosten zu decken.

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Traditionell übernehmen Kinder in vielen Kulturen die Verantwortung für die Pflege ihrer Eltern. In der modernen Gesellschaft hat sich diese Verantwortung jedoch verändert, insbesondere durch die zunehmende Berufstätigkeit beider Elternteile und die geografische Distanz zwischen Familienmitgliedern. Dennoch bleibt die Pflegeversicherung oft unzureichend, und seit dem 1. Januar 2020 sind Verwandte ersten Grades mit einem Jahresbruttoeinkommen von über 100.000 Euro verpflichtet, die Unterhaltskosten für ein pflegebedürftiges Familienmitglied zu übernehmen, sofern dessen eigenes Vermögen nicht ausreicht.

Die Pflegebedürftigkeit von Kindern unterscheidet sich grundlegend von der Pflege älterer Menschen. Während bei älteren Menschen die Pflege oft darauf abzielt, den Lebensabend zu begleiten, geht es bei der Pflege von Kindern darum, ihre Entwicklung zu unterstützen und ihnen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen. Das bestehende System zur Bestimmung des Pflegegrades berücksichtigt häufig nicht die speziellen Bedürfnisse von Kindern, was dazu führt, dass der tatsächliche Pflegebedarf oft unterschätzt wird.

Finanzielle und psychische Belastungen 

Pflegende Angehörige sehen sich häufig gezwungen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder sogar ganz aufzugeben, um die Pflege zu übernehmen. Das führt nicht nur zu einem Einkommensverlust, sondern auch zu Nachteilen in der Altersvorsorge. Zudem müssen viele Pflegepersonen hohe Ausgaben für Hilfsmittel, Therapien oder spezielle Bildungsangebote tragen, die oft nicht vollständig von der Kranken- oder Pflegeversicherung abgedeckt werden.

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Neben den finanziellen Aspekten ist die psychologische Belastung für pflegende Angehörige enorm. Der Balanceakt zwischen Pflege, Beruf und Alltagsorganisation führt häufig zu Erschöpfung und Stress. Oft fehlt es an ausreichender Unterstützung, sei es durch das soziale Umfeld oder durch professionelle Hilfsangebote. In einigen Fällen bleibt den Familien nur der Kurzaufenthalt in einem Kinderhospiz als Möglichkeit für eine erholsame Auszeit.

Lösungsansätze

Es bedarf einer stärkeren gesellschaftlichen Anerkennung und finanziellen Unterstützung für pflegende Angehörige. Dazu gehören eine angemessene Entlohnung der Pflegearbeit, verbesserte Sozialleistungen und ein Ausbau von niederschwelligen Unterstützungsangeboten. Flexible Arbeitszeitmodelle und ein besserer Zugang zu psychologischer Betreuung könnten ebenfalls eine große Entlastung darstellen.

Pflegende Angehörige leisten einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft, der weit über die reine Pflege hinausgeht. Es ist an der Zeit, dass diese Arbeit die Anerkennung und Unterstützung erhält, die sie verdient, damit sie nicht nur als Belastung, sondern auch als erfüllende Aufgabe wahrgenommen werden kann.

Claudia Müller ist Ökonomin und leitet seit 2017 das von ihr gegründete Female Finance Forum, das Frauen im Umgang mit Geld und nachhaltigen Investitionen weiterbildet. Davor studierte sie internationale VWL und arbeitete unter anderem bei der Deutschen Bundesbank, wo sie für das Thema Green Finance verantwortlich war. Dieses Wissen wandte sie parallel zur Gründung des Female Finance Forums in einem Single Family Office an, wo sie für die nachhaltigen liquiden Anlagen zuständig war.